Erstbegehung in den Dolomiten (Teil 1)
Die Hälfte von viel ist 400 ……
Ein wirklich schöner Berg und eine wirklich schöne Linie.
Bereits 1996 hatte ich ein Auge auf diese außergewöhnliche Wand geworfen. Zu jener Zeit war ich viel in den Alpen unterwegs und dabei sind mir auch einige Erstbegehungen geglückt.
Aber das ist ja 20 Jahre her, ich war jünger und viel besser trainiert. Heute habe ich Familie, zwei Kinder, oder besser gesagt drei. Denn auch das Bergwerk ist für mich wie ein Kind, dass ich liebe und pflege.
Als ich nach langer Zeit einmal wieder mit Tanja zusammen in den Dolomiten klettern konnte, schaute ich von unseren Touren aus immer wieder in diese Wand, diese 800 Meter, diese Linie die, wie ich hoffte, immer noch unbegangen sein würde.
Tanja bemerkte meine Sehnsucht und motivierte mich.
„Berge, das war doch immer dein Leben, vor allem die Dolomiten.“
Ich selbst war eher skeptisch. Meine letzte Erstbegehung einer alpinen Wand lag über 20 Jahre zurück!
Bringe ich körperlich und mental noch eine solche Leistung, nagte der Zweifel!
Insbesondere der mentale Faktor. Ich bin älter, habe Familie, da wird man vorsichtiger.
Bla bla bla.
Ich fühlte, die Zeit war reif. Ich musste so etwas einfach mal wieder machen. Die Tat, das konkrete realisieren einer Idee, ist etwas unfassbar befriedigendes!
Ich schoss Fotos von der Wand, studierte deutsche und italienische
Kletterführer und zeichnetet die imaginäre Linie in ein Foto ein.
Von meinen alten Jugendfreunden hatte keiner Zeit, der Job, usw….
Mit wem kannst du so eine Wand machen und wer hat Zeit, fragte ich mich?
Eines Abends traf ich Jens im Bergwerk am Tresen. Er erzählte mir, dass er noch eine Woche Resturlaub habe und unbedingt mal raus müsse.
„Ich habe da so eine Erstbegehung in den Bergen vor, hast du Lust“, fragte ich vorsichtig.
Jens war begeistert, fragte nach Details.
Ich sagte: „Tolle Wand, 800 Meter, sehr geil und so…“
„Aha, verdammt hohe Wand, wie schwer glaubst du wird es werden?“ fragte Jens.
Oh, Mist ging mir durch den Kopf, sag jetzt bloß nichts falsches.
„So 5er Gelände denke ich.“
Wir verabredeten uns für das nächste Wochenende und los ging es.
In den Bergen angekommen schliefen wir beide die erste Nacht nicht gut – Lampenfieber.
Am nächsten Tag ging es nach ausgiebigem Frühstück gemütlich los. Sachen gepackt und ab zur Wand. Der Wandfuß ist ungewöhnlich schön für eine so große Wand. Ein kleiner ebener Grasplatz auf 2300m Höhe, irgendwie skurril!
Das ganze Equipment: Expressen, Camelots, Hammer, Haken, Bohrmaschine, Bohrhaken, usw. an den Gurt gehängt und schon ging es, mit dem gefühlten Gewicht einer Mammutelfe, in die Wand.
Die ersten Meter sind leicht, dann ein Band mit einem Dach darüber.
Einem Dach darüber, einem Dach darüber, einem Dach darüber!
Ich komme einfach nicht rüber über dieses blöde Dach;
genauer gesagt, ich kann keine Hand loslassen um einen Haken an der Dachkante zu bohren und ohne Sicherung traue ich mich nicht. Immer wieder versuche ich mich unter dem Dach zu verspreizen um bohren zu können; es klappt einfach nicht.
„Was bist du denn für ein geiler Typ“ schießt mir durch den Kopf.
„Erst machst du alle deine Freunde heiß auf diese 800 Meter Wand und jetzt kommst du nicht höher als 7 Meter. Wenn ich jetzt wieder runter komme, dann schlägt Jens mich; Schwierigkeitsgrad 5 oder so, ist schon klar!“
Nach einer gefühlten Ewigkeit brachte ich doch noch einen Bohrhaken an der Dachkante unter. Gut so, denn die Stelle
ist knackig, vor allem, dass ganze Gewicht am Gurt zieht echt runter…..
Nach dem Dach 6er Gelände, ein kurzer Riss, 3er Camelot versenkt, dann ein kleines Band, bohren, eine seichte Verschneidung, noch ein Bohrhaken, Stand nach knapp 50 Meter.
3 Bohrhaken und 1 Camelot auf 50 Metern, das klettert doch kein Mensch!
Am Stand besprechen wir uns. Wir wünschen uns schon, dass, wenn unsere Tour einmal fertig ist, sie von möglichst vielen geklettert werden kann. Also beschließen wir später beim Abseilen über unsere Route weitere Bohrhaken zu setzen.
Und so machen wir es dann auch. Wir klettern Seillänge für Seillänge
in unserer Wand hinauf, meistens mit sehr wenigen Bohrhaken, weil das bohren aus der Kletterposition oft sehr schwierig ist.
Abends seilen wir dann über die Tour ab und bohren weitere Sicherungen.
Der Fels ist meistens ein Traum, ausgesprochen fest und rau, was nicht selbstverständlich ist in einer so großen Wand.
Es ist Ende September und die Tage sind kurz, morgens haben wir Eis auf unserem Bulli. Und es wird jeden Tag kälter. Also steigen wir erst um 10 Uhr in „unsere“ Wand ein, wenn die Sonne den Fels etwas erwärmt hat. Wärme für die Hände und auch ganz wichtig: Wärme für die „Kletterseele“.
Erst müssen die Seillängen, welche wir an den Tagen zuvor eingerichtet haben geklettert werden, bevor wir weiter „arbeiten“ können. Je höher wir kommen, um so kleiner wird das Zeitfenster. Klettern, klettern, klettern bis an den letzten Umkehrpunkt. Pause, essen, trinken. Dann geht es weiter in das große Abenteuer.
Ich klettere in das gefühlte Nichts. Unbekanntes Neuland. Größte Vorsicht ist hier angebracht, jeder Griff könnte locker sein, schließlich ist hier noch kein Mensch geklettert.
Obwohl der Fels fantastisch fest ist, gibt es immer wieder einmal, diesen einen losen Stein, der auf einem festen Griff liegt. Würde ich hier unvorsichtig klettern, gäbe es einen Abflug – manchmal 20 Meter und mehr.
In solchen Situationen „tunnel“ ich, bin total konzentriert und fühle mich eins mit dem Fels. Das hört sich komisch an, man kann es schlecht erklären. Aber genau so ist es. Ich versuche mich führen zu lassen von meiner Intuition. Nicht so viel rational denken, besser intuitiv denken, wenn es so etwas gibt.
Ich klettere über kompakten aber griffigen Dolomit, Überhänge, Risse, Verschneidungen, Kanten. Es ist alles dabei. Bohren, Stand, der Blick nach oben. Die Kompaktheit der Wand löst sich auf, Strukturen werden fühlbar, sichtbar. Es geht weiter, wir kommen höher!
Glücksgefühle schießen mit einer unglaublichen Intensität durch meinen Körper; dagegen muss jede Partydroge wie ein Volkstrauertag sein!
Anstrengung, Schmerz, Angst, Hunger und Durst, alles wird von diesem tiefen Glücksgefühl weggewischt. Es ist wie klettern im Rausch.
Die ersten 400 Meter sind geklettert. Jetzt liegen die Berge unter einer weißen Decke. Wenn der Schnee wieder geschmolzen ist, geht es weiter.
Ich kann es kaum erwarten…………..
Euer Christoph (Fotos von Jens)
Siehe auch auf DieHeineBrüder
Lass knacken, Opa!